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Reiseführer
Nordseeküste Schleswig-Holstein

Als Erstes ist da der Wind: Er lässt die Bäume gen Osten wachsen und verpasst den Büschen eine Sturmfrisur. Meist bläst er aus Westen; mal aus Nordwest, mal kommt er aus Südwest, der „Schietecke“, denn von dort bringt er Wolken und Regen mit. Weht er aus Osten, plätschert das Meer leise vor sich hin und die Menschen an der Küste fühlen sich „dösig“ im Kopf.

Kampf gegen die Naturgewalten 

Doch ohne Wind ist die Welt an der Nordsee nicht in Ordnung. Er ist hier zu Hause; oft lässt er das Meer kabbelig werden, wie die Seeleute sagen: Dann türmen sich die Wellen auf, stürzen in sich zusammen, ihre Kämme brechen, die Gischt schäumt, und die Wassermassen werden mit aller Macht gegen das Land gedrückt. Schon immer hieß es für die Menschen im Westen Schleswig-Holsteins, Wind und Wasser zu widerstehen, den Naturgewalten die Stirn zu bieten. Ihre Devise und zugleich ihr Schicksal: „Wer nicht will deichen, muss weichen.“ Rund 300 km lang ist die Deichlinie, die die Landschaft in zwei Teile teilt. Binnen, auf der Landseite, zerschneiden Gräben und Sielzüge das Marschland. Ein ausgeklügeltes Kanalsystem sorgt dafür, dass niemand nasse Füße bekommt. Buten, auf der Seeseite, müht sich der Mensch, das Meer zu zähmen. Seit Jahrhunderten rammt er Pfähle ins Watt, schüttet Erdhaufen auf, zieht Gräben, heute wird auch asphaltiert und betoniert – alles, um der stürmischen See, dem „Blanken Hans“, zu trotzen.

Watt und Salzwiesen, Wat- und Wasservögel

Ein Blick auf alte Landkarten zeigt, wie viel Land sich das Meer in den vergangenen Jahrhunderten geholt hat. So ist die heutige Nordseeküste mit den Inseln und Halligen ein Ergebnis vergangener Katastrophen. Nur dank des intensiven Küstenschutzes hatte das Meer in den letzten Jahrzehnten kaum eine Chance, sich noch mehr Land einzuverleiben. Die Landschaft vor dem Deich ist wahrlich schützenswert: Das Wattenmeer, das sich von Holland bis nach Dänemark erstreckt, ist neben den Alpen das letzte flächendeckende Wildnisgebiet Europas. Es bietet 250 Tierarten Lebensraum, die nur hier vorkommen; im Watt und auf den Salzwiesen entlang der Küste rasten auf dem Zug im Frühjahr und Spätsommer bis zu 12 Mio. Wat- und Wasservögel.

Geschichte

  • Um 1200

    Die Friesen bauen die ersten Deiche, um ihr Land zu sichern

  • 1362

    „Große Mandränke“: Über 10 000 Menschen ertrinken. Eiderstedt entsteht

  • 1500

    Dithmarscher Bauern besiegen in der Schlacht von Hemmingstedt die Dänen

  • 1634

    Die Burchardiflut zerstört die Insel Strand. Pellworm und Nordstrand entstehen, über 80 000 Menschen sterben

  • 1895

    Eröffnung des Kaiser-Wilhelm- Kanals (heute Nord- Ostsee-Kanal)

  • 1927

    Der Hindenburgdamm nach Sylt wird eingeweiht

  • 1985

    Gründung des Nationalparks Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer

  • 2009

    Das schleswig-holsteinische Wattenmeer wird Unesco-Weltnaturerbe

  • 2015

    Baubeginn der fünften Kanalschleuse in Brunsbüttel (Fertigstellung 2026)

  • 2018–23

    Rückversetzung einiger Pfahlbauten in St. Peter-Ording wegen immer höherer Wasserstände aufgrund des ansteigenden Meeresspiegels

Weltnaturerbe, Windenergie, Wellness 

Knapp 300 000 Menschen sind an der Westküste Schleswig-Holsteins zu Hause: Südlich der Eider leben die Dithmarscher (133 000), nördlich die Nordfriesen (167 000). Und bis vor gar nicht so langer Zeit war der gesamte Küstenstrich zwischen Elbmündung und deutsch-dänischer Grenze strukturschwaches Gebiet, wie Politiker es nennen. Wurden die Arbeitslosenzahlen bekanntgegeben, stand die Westküste regelmäßig an der Spitze. Doch das ist nun vorbei, auch dank der staatlichen Subventionierung der erneuerbaren Energien: Viele Erben von Hof und Acker investierten in Biogas-, Solar- und vor allem Windkraftanlagen und sehen hinter dem Deich nun wieder eine Zukunft. Andere, die lieber von Getreide und Gemüse, Schafen und Kühen leben, stellen auf ökologische Landwirtschaft um, bauen einen Stall zum Café aus und die Scheune zu Ferienwohnungen und freuen sich auf Gäste.

Denn Dithmarscher und Nordfriesen haben gelernt: Mit Wellen, Wind und Watt allein können sie die Urlauber nicht glücklich machen. Zwar ist die Küste lang, doch Sandstrände gibt es kaum und schließlich sollen die Gäste auch bei Tiefdruck nicht Trübsal blasen. Und so bieten die Küstenorte eine umfangreiche Palette an Sport, Wellness und Spaß für die ganze Familie. Zu Fuß, mit dem Rad oder an Bord eines Schiffs können Urlauber die faszinierende Welt des Nationalparks Wattenmeer kennenlernen. Auch hat inzwischen nahezu jeder Ort an der Küste sein Museum: Multimediale, alles andere als trockene Inszenierungen vermitteln Wissenswertes über die Geschichte der Küstenregion und das Leben vor und hinter dem Nordseedeich. Wegen alldem wollen immer mehr Menschen das Land vor und hinter den Deichen entdecken; die Urlauberzahlen steigen Jahr für Jahr. Die Erhebung des Wattenmeers zum Weltnaturerbe leistet einen weiteren wichtigen Beitrag dazu und bietet den Verantwortlichen zudem die Chance zu beweisen, dass sie das Konzept der Nachhaltigkeit gerade bei einem so sensiblen Ökosystem wie dem Wattenmeer umzusetzen verstehen.

Prima Klima - zu jeder Jahreszeit

„Es gibt kein schlechtes Wetter, nur die falsche Kleidung!“ Dieser, zugegeben, etwas kesse Spruch soll Sonnensüchtige trösten, wenn beim Blick aus dem Fenster mal wieder „Schietwetter“ aufzieht. Kein Trost? Nun, vielleicht vertreibt ja die Statistik die letzten Zweifel am Nordseewetter: Von Juni bis August gibt es schlechtestenfalls zehn Regentage im Monat. Die Sonne scheint sieben bis neun Stunden am Tag und die Nordsee erwärmt sich auf angenehme, aber noch erfrischende 20–22 Grad. Doch den wahren Nordseefan schert die Wetterkarte ohnehin nicht. Er kommt auch im Herbst, Winter oder im Frühjahr, holt sich statt eines Sonnenbrands eine kalte Nase, schwört auf das gesunde Reizklima und schwärmt von der Ruhe. Und wenn du abends auf dem Deich der untergehenden Sonne zusiehst, wie sie Himmel und Nordsee in flammende Farben taucht – dann ist dir die Jahreszeit ganz egal. Garantiert.

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